Worte von Subcomandante
Insurgente Marcos bei der Vorstellung des Buches "EZLN - 20 und 10, das
Feuer und das Wort". Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung Mexiko, 10. November 2003. Guten Tag, guten Nachmittag und guten Abend. Hier spricht Sup
Marcos. Willkommen an alle. Wir sind hier, um mit der Feier einer Geschichte zu beginnen,
und um ein Buch zu präsentieren, das einen guten Teil dieser Geschichte
erzählt. Auch wenn man das Gegenteil denken könnte, die Geschichte die
gefeiert und erzählt wird, sind nicht die 20 und 10 Jahre der EZLN. Das
heißt, nicht nur. Vielen Menschen kommt es so vor, als hätten sie an diese 20
und 10 Jahren teilgenommen. Und damit meine ich nicht nur die Tausende
Indigene Rebellen in Widerstand, sondern auch die Tausende Männer, Frauen,
Kinder und Alte aus Mexiko und der ganzen Welt. Die Geschichte die wir heute
zu eiern beginnen, ist auch die Geschichte eines und einer jeden einzelnen
von ihnen. Die Worte, die ich heute schreibe und spreche, wenden sich an
all diese Menschen, die ohne den Reihen der EZLN anzugehören, mit uns
gemeinsam eine Idee teilten, lebten und für sie kämpften: die Errichtung
einer Welt, in der alle Welten passen. Man könnte auch sagen, wir wollen ein
Geburtstag, in dem alle Geburtstage passen. Beginnen wir die Fiesta also, wie wir die Geburtstagsfeste in
den Bergen des mexikanischen Südostens seit 20 Jahren beginnen, das heißt,
indem wir Geschichten erzählen. Unserem Kalender zufolge hatte die Geschichte der EZLN vor dem
Beginn des Krieges, sieben Etappen. Die erste Etappe war die Auswahl der Leute, die der EZLN
angehören würden. Das war um 1982. Es wurden Übungen von ein, zwei Monaten in
der Selva organisiert, und die Leistung der Teilnehmer wurde bewertet, um zu
sehen wer "es aushalten" konnte. Die zweite Etappe war das, was wir
das "Implantieren" nennen, das heißt, die eigentliche Gründung der
EZLN. Heute ist der 10. November 2003. Stellen Sie sich bitte vor, wie
an einem Tag wie heute, aber vor 20 Jahren, 1983, eine Gruppe von Personen in
irgendeinem sicheren Haus die Ausrüstung vorbereiteten, die sie in die Berge
des mexikanischen Südostens mitnehmen würden. Diesen Tag vor 20 Jahren
verbrachte man vielleicht mit der Überprüfung von Vorräten, dem Einholen von
Informationen über Straßen, alternative Routen, Zeiten, der Aufstellung von
Zeitplänen, Befehlen, Vorkehrungen. Vor 20 Jahren, zu vielleicht genau dieser
Stunde, bestiegen sie ein Fahrzeug und begannen die Reise nach Chiapas. Wenn
wir dort gewesen sein könnten, hätten wir diese Personen vielleicht gefragt,
was sie zu tun beabsichtigten. Und sicher hätten sie uns geantwortet:
"Wir werden die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung
gründen." Sie hatten 15 Jahre darauf gewartet, diese Worte sagen zu
können. Nehmen wir mal an, dass sie ihre Reise am 10. November 1983
begonnen haben. Einige Tage später erreichten sie das Ende eines
Trampelpfades, stellten ihre Sachen ab, verabschiedeten den Fahrer mit einem
"bis dann", und nachdem sie ihre Rucksäcke aufgeschultert hatten,
machten sie sich daran, eine der Sierras zu erklimmen, die nach Westen hin
die Selva Lacandona durchziehen. Viele Marschstunden später, mit jeweils 25
Kilo auf dem Rücken, schlagen sie ihr erstes Lager auf, inmitten der Sierra.
Ja, es ist durchaus denkbar, dass dieser Tag kalt war und es sogar regnete. Heute vor 20 Jahren senkte die Nacht sich rasch über die großen
Bäume, und mit Hilfe von Taschenlampen hängten diese Männer und Frauen ein
Plastikdach an einer Leine auf, befestigten ihre Hängematten, suchten nach
trockenem Feuerholz und zündeten eine Plastiktüte an, um das Feuer in Gang zu
bringen. Im Schein dieses Feuers notierte der Befehlshaber in sein
Feldtagebuch etwas in der Art: "17. November 1983. So und so viele Meter
über dem Meeresspiegel. Regnerisch. Bauten Lager auf. Keine
Zwischenfälle." In der linken oberen Ecke des Blattes erscheint der
Name, den sie dieser ersten Station einer Reise gegeben haben, die, wie Sie
alle wissen, sehr lang sein wird. Es gab keine besondere Zeremonie, aber an
diesem Tag und in dieser Stunde, wurde die Zapatistische Armee der Nationalen
Befreiung gegründet. Bestimmt schlug damals jemand einen Namen für dieses Lager vor,
wir wissen es nicht. Was wir sicher wissen ist, dass diese Gruppe aus sechs
Personen bestand. Die ersten sechs Insurgentes, fünf Männer und eine Frau.
Von diesen sechs waren drei Mestizen und drei Indígenas. Das Verhältnis von
50% Mestizen und 50% Indígenas sollte sich in den 20 Jahren der EZLN nie mehr
wiederholen, genauso wenig wie das Verhältnis von Frauen (weniger als 20% in
diesen ersten Tagen). Im Augenblick, 20 Jahre nach diesem 17. November, liegt
der Prozentsatz bei etwa 98,9% Indígenas und 1% Mestizen. Der Frauenanteil
liegt bereits bei etwa 45%. Wie hieß dieses erste Lager der EZLN? In dieser Hinsicht sind sich
die ersten sechs Insurgentes nicht einig. Wie ich später lernte, wurden die
Namen der Lager ohne jede Logik gewählt, ganz natürlich und ohne Verstellung,
unter Vermeidung apokalyptischer oder prophetischer Namen. Keins darunter
heißt zum Beispiel "Primero de enero de 1994" („1. Januar 1994“). Wie diese ersten sechs erzählen, wurde eines Tages ein
Insurgente losgeschickt, um zu erforschen, ob ein Standort die nötigen
Voraussetzungen für ein Lager bot. Der Insurgente sagte bei seiner Rückkehr,
der Platz sei "ein Traum". Die Compaņeros marschierten daraufhin
los, und als sie ankamen, standen sie in einem Sumpf. Daraufhin sagten sie zu
ihrem Compaņero: "Das ist kein Traum, das ist ein Alptraum". Und so
hieß das Lager danach "Der Alptraum". Das muß in den ersten Monaten
des Jahres 1984 gewesen sein. Der Name dieses Aufständischen war Pedro.
Später würde er zum zweiten Leutnant, Leutnant, Unterhauptmann, Hauptmann und
Subcomandante aufsteigen. Mit diesem Rang und als Anführer des zapatistischen
Generalstabs, fiel er zehn Jahre später, im Januar 1994, im Kampf bei der
Einnahme von Las Margaritas, Chiapas, Mexiko. In der dritten Etappe, immer noch vor dem Aufstand, widmeten wir
uns der Aufgabe des Überlebens, das heißt, wir jagten, fischten und sammelten
Früchte und Waldpflanzen. In dieser Zeit eigneten wir uns Kenntnisse über das
Terrain an, Orientierung, Wanderungen, Topografie. Und wir studierten
militärische Strategien und Taktiken aus den Handbüchern der
nordamerikanischen Armee und der mexikanischen Streitkräfte, und den Gebrauch
und die Pflege diverser Schußwaffen sowie die sogenannten
"Kampfsportarten". Wir studierten auch mexikanische Geschichte und
führten natürlich ein sehr intensives Kulturleben. Ich kam in die Selva Lacandona während dieser dritten Etappe an,
im Jahr 1984. Das heißt im August oder September dieses Jahres, ungefähr neun
Monate nach Ankunft der ersten Gruppe. Mit mir kamen zwei weitere Compaņeros:
eine indigene Chol-Compaņera und ein indigener Tzotzil-Compaņero. Wenn ich
mich recht entsinne, bestand die EZLN bei meiner Ankunft aus sieben
Basiselementen und zwei weiteren, die in der Stadt "ein- und
ausgingen", für Postzustellungen und um Vorräte zu beschaffen. Sie
durchquerten die Dörfer nachts als Ingenieure verkleidet. Die Lager waren damals relativ einfach: es gab ein
Verwaltungsareal oder Küche, die Schlafräume, den Übungsplatz, den
Wachposten, das Areal 25 und 50, und die Schießübungsplätze für
Selbstverteidigung. Vielleicht werden sich einige Zuhörer fragen, was zum
Henker das "Areal 25 und 50" ist. Nun, zur Erfüllung gewisser
Bedürfnisse, die man als "primär" bezeichnet, musste man einen
gewissen Abstand vom Lager halten. Um zu urinieren musste man sich 25 Meter
weit entfernen, um zu defäkieren, waren es 50 Meter, außerdem hatte man ein
Loch mit der Machete schlagen und das "Produkt" sofort abdecken
müssen. Natürlich galten diese Bedingungen, als wir, wie es so schön heißt,
nur eine Handvoll Männer und Frauen waren, also nicht mehr als zehn. Später
bauten wir Latrinen in abgelegeneren Zonen, aber die Bezeichnung "25 und
50" blieb hängen. Es gab ein Lager, den man "Der Ofen" nannte, weil wir
dort zum ersten Mal einen bauten. Davor wurde das Feuer am Boden angezündet,
und die Töpfe (es gab zwei: einen für Bohnen und einen anderen für das Tier,
das wir erlegt oder gefischt hatten), wurden an einer mit Lianen
festgemachten Stange gehängt. Aber bald wurden wir mehr, und so traten wir in
das "Zeitalter des Ofens". Zu der Zeit bestand die Truppe der EZLN
aus 12 Mitstreiterinnen und Mitstreitern. Etwas später, in einem Lager namens "Rekruten" (weil
hier die neuen Kämpfer ausgebildet wurden), traten wir in das "Zeitalter
des Rades" ein. Das heißt, wir schnitzten uns mit der Machete ein
Holzrad zurecht und bauten einen Schubkarren, um Steine für die
Schützengräben zu transportieren. Das muß schon lange her sein, weil das Rad
noch ziemlich quadratisch war, und am Ende schleppten wir die Steine auf dem
Rücken. Ein anderes Lager hieß "Baby Doc" zu Ehren des Herren,
der Haiti mit dem Segen der Vereinigten Staaten terrorisierte. Wir waren
gerade mit einer Kolumne von Rekruten auf dem Marsch, um in der Nähe eines
Dorfes zu campieren. Unterwegs stießen wir auf ein Rudel Wildschweine, das
heißt, ein ziemlicher Haufen von ihnen. Die Guerillakolonne verteilte sich
diszipliniert und gewandt, das heißt der Anführer brüllte
"Schweine!" und stürmte, von Panik getrieben, mit einer nie wieder
gesehenen Geschicklichkeit auf einen Baum. Andere rannten tapfer los, aber in
die den Wildschweinen entgegengesetzte Richtung. Einige legten an und nahmen
zwei Wildschweine ins Visier. Beim feindlichen Rückzug, das heißt, als die
Schweine davonzogen, blieb ein kleines Schweinchen zurück, so groß wie eine
Hauskatze. Wir adoptierten es und tauften es "Baby Doc", weil Papá
Doc Duvalier damals gerade gestorben war, und das Schlachtfest an seine
Nachkommen weitervererbt hatte. Wir lagerten dort, um die Waffen zu reinigen
und zu essen. Das Schweinchen verliebte sich sehr in uns, ich glaube das lag
am Gestank. Ein anderes Lager in diesen Jahren hieß "Jugendlager",
weil hier die erste Gruppe jugendlicher Insurgentes gebildet wurde, die
"Jungen Rebellen des Südens". Einmal pro Woche trafen sich die
jungen Insurgentes, um zu singen, zu tanzen, zu lesen und Sport und
Wettkämpfe zu treiben. Am 17. November 1984, vor 19 Jahren, feierten wir zum ersten Mal
den Jahrestag der EZLN. Wir waren neun. Ich glaube das war in einem Lager
namens "Margaret Thatcher", weil wir dort ein Äffchen aufgegabelt
hatten, das, ich schwöre Ihnen, das genaue Ebenbild der "Eisernen
Lady" war. Ein Jahr später, 1985, feierten wir in einem Lager namens
"Watapil", genannt nach einer Pflanze, aus deren Blätter wir das
Dach des Vorratslagers gebaut hatten. Ich war Unterhauptmann, wir befanden uns in der sogenannten
"Sierra de Almendro", und die Hauptkolonne war in einer anderen
Berggegend geblieben. Ich hatte drei Insurgentes unter meinem Kommando. Wenn
meine mathematischen Kenntnisse mich nicht in Stich lassen, waren wir in
diesem Lager also zu viert. Wir feierten mit Tostadas, Kaffee, Pinole mit
Zucker und einer Cójola, die wir am Morgen erlegt hatten. Es gab Lieder und
Gedichte. Einer würde singen oder vortragen und die anderen drei
applaudierten mit einer Langweile, die eines Besseren würdig gewesen wäre.
Als ich an die Reihe kam, sagte ich ihnen in einer feierlichen Ansprache,
ohne weitere Argumente zu haben als die Moskitos und die Einsamkeit, die uns
umgab, dass wir eines Tages Tausende sein würden und unser Wort um die Welt
gehen würde. Die anderen drei kamen überein, dass die Tostada wahrscheinlich
verdorben war und mir sicher geschadet hatte und ich deshalb in Delirium war.
Ich weiß noch, dass es in dieser Nacht regnete. In der sogenannten vierten Etappe wurden die ersten Kontakte mit
den umliegenden Dörfern geknüpft. Zuerst redeten wir mit einer Person, und
diese redete mit seiner Familie. Die Familie gab es an das ganze Dorf weiter.
Das Dorf an die ganze Region. So wurde unsere Anwesenheit langsam zu einem
offenen Geheimnis und einer massiven Verschwörung. In dieser Etappe, die
parallel zur dritten verlief, war die EZLN bereits nicht mehr das, was wir
uns bei unserer Ankunft vorgestellt hatten. Zu der Zeit waren wir bereits von
den indigenen Gemeinden besiegt worden, und als Produkt dieser Niederlage
fing die EZLN an, diametral zu wachsen und "sehr anders" zu werden,
das heißt, das Rad verbog sich weiter, bis es endlich rund war und das tun
konnte, was Räder tun sollen, also rollen. Die fünfte Etappe war das explosive Anwachsen der EZLN. Aufgrund
der politischen und sozialen Bedingungen wuchsen wir über die Selva Lacandona
hinaus und erreichten das Hochland und den Norden von Chiapas. Die sechste
Etappe war die Abstimmung für den Krieg und die Vorbereitungen einschließlich
der sogenannten "Schlacht von Corralchén" im Mai 1993, als wir
unser erstes Gefecht mit der Bundesarmee zu bestehen hatten. Vor zwei Jahren, auf dem Marsch für die Indigene Würde, sah ich
an einem der Orte, durch die wir zogen, eine Art dicke Flasche wie ein Topf
mit einem engen Hals. Ich glaube, sie war aus Lehm und mit winzigen
Spiegelstückchen bedeckt. Wenn sie das Licht reflektierten, warf jeder kleine
Spiegel auf der Topfflasche ein bestimmtes Bild zurück. Alles um sie herum
hatte sein eigenes Spiegelbild und ähnelte gleichzeitig einem Regenbogen aus
Bildern. Es war, als ob viele kleine Geschichten vereint wurden, ohne ihre
Einzigartigkeit zu verlieren, um eine größere Geschichte zu bilden. Ich
dachte, daß die Geschichte der EZLN vielleicht so erzählt, gesehen und
analysiert werden könnte, wie dieser Flaschentopf. Heute, am 10. November 2003, zwanzig Jahre nach der ersten Reise
der Gründer unserer Organisation, beginnt eine Kampagne auf Initiative der
Revista Rebeldía, um den 20. Geburtstag der EZLN und den 10. Jahrestag seit
Beginn des Krieges gegen das Vergessen zu feiern, und um dieses Buch von
Gloria Muņoz Ramírez vorzustellen, das den Titel "EZLN: 20 und 10, das
Feuer und das Wort“ trägt. Wenn man dieses Buch mit einem Bild ausdrücken
könnte, gäbe es kein besseres, als die spiegelbedeckte Topfflasche. In einem Teil des Buches sammelte Gloria die Aussagen einiger
Compaņeros aus den Unterstützungsbasen, von Verantwortlichen, Komittees und
Insurgentes, die von ihrem eigenen Spiegelchen in den letzten fünf Etappen
vor dem Aufstand erzählen, das heißt die Etappen 3, 4, 5, 6, und 7. Es ist
das erste Mal, dass die Compaņeros, die mehr als 19 Jahre im zapatistischen
Kampf zugebracht haben, ihr Herz und ihre Erinnerung über diese Jahre des
Schweigens öffnen. Und so konnte Gloria diese kleinen Spiegelstückchen in
Kristallstückchen, durch die man einen kleinen Blick auf diese ersten zehn
Jahre der EZLN werfen kann. Auf diese Weise kann eine andere Geschichte erraten werden, die
sich sehr von derjenigen unterscheidet, die von den Regierungen von Carlos
Salinas de Gortari und Ernesto Zedillo entworfen wurde, durch Lügen, beliebig
veränderten Polizeiberichten und die Kompliziertheit der Intellektuellen, die
unter der Maske angeblich "ernsthafter" Untersuchungen die Schecks
und die Streicheleinheiten verbargen, die sie von der Macht im Tausch für
ihre "wissenschaftliche Objektivität" erhielten. Durch die kleinen Stückchen von Spiegeln und Kristallen, die
Gloria zusammengesucht hat, wird der Leser erkennen, dass das Gezeigte kaum
über ein paar Teile eines gigantischen Puzzles hinausreicht. Ein Puzzle,
dessen Kernstück der erste Tag des Jahres 1994 ist, an dem Mexiko durch das
Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) in die Erste Welt eintrat. Der Vorabend dieses 1. Januars war die siebte Etappe der EZLN.
Ich erinnere mich, dass ich mich in der Nacht vom 30. Dezember 1993 auf der
Straße Ocosingo- San Cristóbal de las Casas befand. An diesem Tag hatte ich
unsere Stellungen nahe Ocosingo aufgesucht. Ich hatte über Funk die Lage
unserer Truppen überprüft, die sich an verschiedenen Punkten entlang der
Autobahn konzentrierten, durch die Caņadas von Patiwitz, Monte Líbano und Las
Tazas. Diese Truppen gehörten zum dritten Infanterieregiment. Es waren etwa
1.500 Kämpferinnen und Kämpfer. Das dritte Regiment hatte den Auftrag,
Ocosingo einzunehmen. Aber zuvor sollten sie "unterwegs" die Fincas
in dieser Zone besetzen und die „Weißen Garden“ (=bewaffnete,
paramilitärische Banden – die homepage-Redaktion) der Finqueros
(=Großgrundbesitzer – die Red.) entwaffnen. Wie man mir berichtet hatte,
wurde das Dorf von San Miguel von einem Armeehubschrauber umflogen, sicher
von den vielen Fahrzeugen dort alarmiert. Seit dem Morgen des 29. Dezembers
hatte kein Fahrzeug die Caņadas (Region der Längstäler entlang der Grenze zu
Guatemala – die Red.) verlassen; alle wurden "ausgeliehen", um die
Truppen des dritten Regiments zu mobilisieren. Das dritte Regiment bestand
ausschließlich aus Tzeltal-Indígenas. Unterwegs hatte ich die Stellungen des 8. Bataillons überprüft
(ein Teil des 5. Regiments), das die Aufgabe hatte, in einem ersten Vorstoß
den Bezirkshauptsitz Altamirano einzunehmen. Danach sollte es
weitermarschieren und Chanal, Oxchuc und Huixtán einnehmen, um sich daraufhin
dem Angriff auf die Garnison von Rancho Nuevo vor San Cristóbal
anzuschließen. Das 8. Bataillon war verstärkt worden. Für die Einnahme von
Altamirano würde es etwa 600 Kämpferinnen und Kämpfer haben, von denen ein
Teil auf der besetzten Plaza bleiben würden. Auf dem Vormarsch würde es mehr
Compaņeros aufnehmen, um Rancho Nuevo mit etwa 500 Streitkräften zu
erreichen. Das 8. Bataillon wurde überwiegend von Tzeltales gebildet. Immer noch auf der Straße, machte ich auf einer Anhöhe Rast, um
Funkkontakt mit dem 24. Bataillon aufzunehmen (ebenfalls Teil des 5. Regiments),
das die Mission hatte, den Bezirkshauptsitz San Cristóbal de Las Casas
einzunehmen und (zusammen mit dem 8. Bataillon) das Militärquartier von
Rancho Nuevo anzugreifen. Das 24. war ebenfalls ein verstärktes Bataillon. Zu
seiner Truppe zählten etwa 1000 Kämpferinnen und Kämpfer, alle aus dem
Hochland und Tzotzil-Indígenas. Als ich San Cristóbal erreichte, umrundete ich die Stadt und
ging zu der Stellung, in der sich das Hauptquartier des EZLN-Kommandos
befinden würde. Von hier setzte ich mich per Funk mit dem Befehlshaber des 1.
Regiments in Verbindung, Subcomandante Insurgente Pedro, Leiter des
zapatistischen Generalstabes und zweiter Kommandant der EZLN. Seine Mission
war es, den Hauptsitz von Las Margaritas einzunehmen und auf das Militärquartier
in Comitán vorzustoßen. Das 1. Regiment mit 1.200 Kämpferinnen und Kämpfern
bestand überwiegend aus Tojolabales. Zusätzlich blieb in der sogenannten "zweiten strategischen
Reserve" ein Bataillon von Chol Indígenas, und tief in unseren
Basiscamps in den Tzeltal-, Tojolabal-, Tzotzil- und Chol-Gebieten hielt sich
die sogenannte "erste strategische Reserve" mit drei Bataillonen in
Bereitschaft. Ja, die EZLN trat an das Licht der Öffentlichkeit mit mehr als
4.500 Kämpferinnen und Kämpfern in den vordersten Kampfreihen, die 21.
Zapatistische Infanteriedivision, und weitere 2.000 Kämpferinnen und Kämpfer
blieben in der Reserve. Am Morgen des 31. Dezember 1993 bestätigte ich den
Angriffsbefehl, das Datum und die Stunde. Kurz gesagt: die EZLN würde
gleichzeitig vier Bezirkshauptsitze angreifen und unterwegs in drei weiteren
die Polizei- und Militärtruppen dort überwältigen und dann weitermarschieren,
um zwei große Garnisonen der Bundesarmee anzugreifen. Der Tag: der 31.
Dezember 1993, die Stunde: 24.00 Uhr. Am Morgen des 31. Dezember 1993 evakuierten wir unsere
Stellungen in den Städten, die wir nur an einigen Orten aufrechterhielten.
Gegen 14.00 Uhr meldeten die verschiedenen Regimente dem Generalkommando per
Funk, dass sie einsatzbereit seien. Um 17.00 Uhr begann der Countdown: es war
die Stunde "Minus 7". Von diesem Zeitpunkt an herrschte völlige
Funkstille zwischen den Regimenten. Der nächste Funkkontakt war für
"Plus 7" vorgesehen, also um 07.00 Uhr des 1. Januar 1994,
zumindest für die, die dann noch lebten. Wenn Sie nicht wissen, was danach folgte, können Sie es in
diesem Buch erfahren, und wenn Sie es wissen, dann können Sie sich dadurch
daran erinnern. Die Topfflasche verwandelt sich darin in einen gigantischen
Wandteppich, dessen allgemeine Züge bereits von Gloria gezeichnet worden ist,
voller Stückchen aus Spiegel und Kristall, die aus den verschiedenen Momenten
der EZLN in den letzten zehn Jahren zusammengesetzt worden sind, das heißt,
die Periode zwischen dem 1. Januar 1994 und dem 1. August 2003. Ich bin
sicher, dass viele jenen Spiegel und jenen Kristall finden werden, die ihnen
entsprechen. Tatsächlich dachte ich genau daran, als ich in der Vorstellung
folgendes schrieb: "Eine Frau, eine Journalistin, nicht ohne Schwierigkeiten,
die komplizierte und dicke Mauer des zapatistischen Skeptizismus, und sie
blieb und lebte mit den indigenen Gemeinden in Rebellion. Von dieser Zeit an
teilte sie mit den Compaņeros den Traum und die schlaflosen Nächte, die
Freuden und die Sorgen, die Nahrung und ihren Mangel, die Verfolgungen und
die Ruhepausen, die Tode und die Leben. Langsam lernten die Compaņeros und
Compaņeras, sie zu akzeptieren und als einen Teil ihres täglichen Lebens
anzunehmen. Ich werde hier nicht ihre Geschichte erzählen. Unter anderem
deshalb, weil sie es vorgezogen hat, die Geschichte einer Bewegung zu
erzählen, der zapatistischen, und nicht ihre eigene. Der Name dieser Person
ist Gloria Muņoz Ramírez. Zwischen 1994 bis 1996 arbeitete sie für die
mexikanische Zeitung "Punto", für die deutsche Nachrichtenagentur
DPA, für die nordamerikanische Zeitung "La Opinión" und für die
mexikanische Tageszeitung "La Jornada". Am Morgen des 9. Februar
1995, gemeinsam mit Hermann Bellinghausen, machte sie das, was damals
möglicherweise das letzte Interview mit Subcomandante Insurgente Marcos hätte
sein können. 1997 ließ sie ihre Arbeit, ihre Familie und ihre Freunde zurück
(und andere Dinge, von denen nur sie weiß), und kam, um in den zapatistischen
Gemeinden zu leben. In diesen sieben Jahren publizierte sie nichts, aber sie
schrieb weiter, und sie gab ihren journalistischen Eifer nicht auf. Sie war
natürlich keine Journalistin mehr, oder nicht mehr nur Journalistin. Gloria
lernte eine neue Art des Sehens, die weit entfernt ist von der Verblendung,
die durch die Scheinwerfer entsteht, dem Pandämonium der Tribünen, dem
Gedränge hinter den Nachrichtenschlagzeilen, dem Kampf ums Exklusive. Die Art
des Sehens, die man in den Bergen des mexikanischen Südostens lernt. Mit der
Geduld einer Kunststickerin setzte sie Fragmente aus der inneren und äußeren
Realität des Zapatismus zusammen, aus diesen nunmehr 10 Jahren des
öffentlichen Lebens der EZLN. Wir wussten es nicht.
Erst bei der Ankündigung der Geburt der Caracoles und der Gründung der Juntas
der Guten Regierung erhielten wir einen Brief von ihr, der uns diese
Stickerei aus Worten, Daten und Erinnerungen vorstellte und sie der EZLN zur
Verfügung stellte. Wir lasen das Buch - nun,
damals war es noch kein Buch, sondern eher ein großer, vielfarbiger Gobelin,
dessen Vision uns erheblich dabei half, die komplizierte Silhouette des
Zapatismus von 1994 bis 2003 zu zeichnen, die 10 Jahre des öffentlichen
Lebens der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung. Also liebten wir
es. Wir kennen kein anderes Material, das mit soviel Aufmerksamkeit fürs
Detail veröffentlicht worden wäre und so vollständig ist. Wir antworteten Gloria
so, wie wir immer antworten, also mit einem "Hmm, und?" Gloria
schreib uns zurück, und sie sprach über den doppelten Jahrestag (20 Jahre
EZLN und 10 Jahre seit Beginn des Krieges gegen das Vergessen), über den
neuen Abschnitt, der mit der Schaffung der Caracoles und der Juntas der Guten
Regierung begonnen hatte, irgendetwas über Festlichkeiten, die von der
"Revista Rebeldía" geplant wären, und ich weiß nicht mehr was noch
alles. Bei soviel Geplapper war eins klar: Gloria schlug vor, das Buch zu
publizieren, damit die jungen Leute von heute mehr über den Zapatismus lernen
könnten. "Die jungen Leute
von heute?", wunderte ich mich und fragte Major Moíses: "Sind wir
nicht die jungen Leute von heute?". "Sind wir das?", fragte
Major Moíses zurück ohne aufzuhören, sein Pferd zu satteln, während ich
weiterhin meinen Rollstuhl einölte und den Umstand verfluchte, dass der
Sanitätskasten kein Viagra enthielt. Wo war ich? Oh ja, das
Buch, das noch kein Buch war. Gloria wartete nicht darauf, dass wir ja
sagten, oder wer weiß, oder typisch zapatistisch, gar nicht erst antworteten.
Im Gegenteil, Gloria fügte dem Gobelin oder dem Rohentwurf des Buches, das
noch kein Buch war, ein Gesuch bei, das Material durch Interviews zu
vervollständigen. Ich ging zum Komittee und
breitete den Gobelin (den Rohentwurf des Buches) auf dem schlammigen
Septemberboden aus. Sie sahen. Ich meine, die
Compaņeros sahen sich selbst. Der Gobelin war gleichzeitig auch ein Spiegel.
Sie sagten nichts, aber ich verstand, dass es mehr Menschen geben würde, viel
mehr Menschen, die auch sehen, und sich selbst sehen könnten. Wir antworteten:
"Gloria, mach weiter". Das war im August oder
September dieses Jahres, ich erinnere mich nicht mehr genau, aber es war nach
der Fiesta der Caracoles. Ich weiß noch, dass es stark regnete, dass ich ein
Hügel hinaufmarschierte und mit jedem Schritt Sisyphus' Fluch wiederholte,
und dass Monarca entschlossen war, dass wir ein Remix von "La del Moņo
Colorado" für Radio Insurgente, "Die Stimme der Stimmlosen",
machen sollten. Als ich mich umdrehte, um Monarca zu sagen, dass das nur über
meine Leiche gehen würde, rutschte ich zum x-ten Male aus, und dann fiel ich
auch noch auf einen Haufen scharfer Steine und schnitt mir das Bein auf. Und
während ich da lag und meine Wunden zählte, ging Monarca einfach so über
meine Leiche. An diesem Nachmittag sendeten wir eine Version von " La
del Moņo Colorado" auf Radio Insurgente, "Die Stimme der
Stimmlosen", die den Anrufen der Zuhörer nach zu urteilen ein voller
Erfolg war. Ich seufzte, wie auch sonst? Das Buch, das der/die
Leser/in gerade in seinen oder ihren Händen hält, ist dieser Gobelin-Spiegel,
aber als Buch verkleidet. Man kann es nicht an die Schranktür hängen, aber
man kann sich ihm nähern und uns suchen und sich selbst suchen. Ich bin
sicher, dass Sie uns finden und sich finden werden. Das Buch "EZLN:
20&10 - Das Feuer und das Wort" von Gloria Muņoz Ramírez wurde durch
das Bestreben zweier Kräfte verlegt, durch die "Revista Rebeldía"
und die mexikanische Tageszeitung "La Jornada" unter Leitung von
Carmen Lira. Hmm. Noch eine Frau. Das Design stammt von Efraín Herrera, und
die Illustrationen von Antonio Ramírez und Domi. Hmm. Noch mehr Frauen. Die
Fotoaufnahmen sind von Adrian Meland, Ángeles Torrejón, Antonio Turok,
Araceli Herrera, Arturo Fuentes, Caros Cisneros, Carlos Ramos Mamahua,
Eduardo Verdugo, Eniac Martínez, Francisco Olvera, Frida Hartz, Georges
Bartoli, Heriberto Rodríguez, Jesús Ramírez, José Carlo González, José Nuņez,
Marco Antonio Cruz, Patricia Aridjis, Pedro Valtierra, Simona Granati, Víctor
Mendiola und Yuriria Pantoja. Für die Fotoauswahl ist Yuriria Pantoja
verantwortlich, und Priscila Pacheco war für das Redigieren zuständig. Hmm.
Wieder Frauen. Wenn es dem Leser auffällt, dass die Frauen in der Mehrheit
sind, was soll ich dann tun - mich am Kopf kratzen und sagen "nie im
Leben"? So wie ich das verstehe
(ich schreibe dies aus der Ferne), besteht dieses Buch aus drei Teilen. Ein
Teil enthält Interviews mit Compaņeros aus den Unterstützungsbasen, Komittees
und mit aufständischen Soldaten. In den Interviews sprechen die Compaņeros
und Compaņeras über die 10 Jahre, die dem Aufstand vorangingen. Ich sollte sagen,
dass es sich hierbei nicht um ein globales Bild handelt, sondern um Fetzen
einer Erinnerung, die noch darauf warten muss, zusammengesetzt und
vorgestellt zu werden. Diese Stückchen helfen
einem dennoch sehr dabei, zu verstehen, was als nächstes im zweiten Teil
folgt. Er enthält eine Art Kompasslinse der öffentlichen Aktivitäten des
Zapatismus vom Beginn des Krieges am Morgen dieses 1. Januar 1994 bis zu der
Geburt der Caracoles und der Gründung der Juntas der Guten Regierung. Aus
meiner Sicht ist es der vollständigste Bericht der öffentlichen Aktivitäten
der EZLN. Der/die Leser/in kann auf dieser Reise vieles entdecken, aber etwas
ganz besonders: die Prinzipientreue einer Bewegung. Im dritten Teil erscheint
ein Interview mit mir. Sie schickten mir die Fragen in schriftlicher Form zu,
und ich musste vor einem kleinen Kassettenrekorder antworten. Ich
verwechselte immer die "Rückwärtstaste" mit "Aufnahme",
und so versuchte ich, eine Einschätzung der letzten 10 Jahre zu machen und
auch noch über andere Dinge zu reflektieren. Während ich alleine vor dem
Kassettenrekorder antwortete, regnete es draußen, und eine der Juntas der
Guten Regierung entrichtete gerade den Ruf der Unabhängigkeit. Es war der
Morgen des 16. September 2003. Ich denke die drei Teile
passen sehr gut zusammen. Nicht nur, weil sie von der gleichen Schreibfeder
geschaffen wurden. Sondern auch, weil sie auf eine Art sehen, die einem/einer
dabei hilft, zu sehen, uns zu sehen. Ich bin sicher, dass genau wie Gloria
viele Leute, indem sie uns ansehen, sich selbst erblicken werden. Und ich bin
auch sicher, dass sie, und mit ihr viele andere, herausfinden werden, wie
besser sie sind. Und genau darum geht es hier, darum besser zu sein.“ Das war in der Vorstellung, denn im Vorwort zum Buch habe ich folgendes
geschrieben: „Vor 10 Jahren, am Morgen des 1. Januar 1994, erhoben wir uns in
Waffen für Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit für alle Mexikaner. In
einer Simultanaktion nahmen wir sieben Bezirkshauptsitze des südöstlichen
Bundesstaates von Chiapas ein und erklärten der Bundesregierung und deren
Armee und Polizei den Krieg. Seit damals kennt uns die Welt als die
"Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung". Aber wir haben uns schon vorher so genannt. Die EZLN wurde vor
20 Jahren, am 17. November 1983, gegründet, und als EZLN begannen wir die
Berge des südöstlichen Mexikos zu durchwandern, beladen mit einer kleinen
Fahne mit schwarzen Hintergrund und einem fünfzackigen roten Stern mit den
Buchstaben "EZLN", auch in rot, darunter. Ich trage diese Fahne
immer noch. Sie wurde oft geflickt und ist arg mitgenommen, aber sie weht
immer noch anmutig im Generalkommando der Zapatistischen Armee der Nationalen
Befreiung. Auch unsere Seelen sind geflickt und tragen Wunden, die
vernarben sollten, aber wieder aufbrechen, wenn wir es am wenigsten erwarten.
Zehn Jahre lang haben wir uns auf diese ersten Minuten des Jahres 1994
vorbereitet. Nun blicken wir auf den 1. Januar 2004. Bald werden sich 10
Jahre des Krieges erfüllen. Zehn Jahre Vorbereitung und zehn Jahre Krieg. 20
Jahre. Aber ich werde weder von den ersten zehn Jahren reden, noch von
den zehn danach, und auch nicht von den 20 Jahren zusammen. Ich werde nicht
einmal über Jahre, Tage, oder Kalender sprechen. Ich werde von einem Mann
erzählen, ein aufständischer Soldat, ein Zapatista. Ich werde nicht viel
sagen. Das kann ich nicht. Noch nicht. Sein Name war Pedro und er starb im
Kampf. Er hatte den Rang eines Subcomandante und war im Augenblick seines
Todes der Leiter des Generalstabs der EZLN, und mein zweiter im Kommando. Ich
werde nicht sagen, er sei nicht gestorben. Er starb wirklich, und ich wollte
nicht, dass er stirbt. Aber wie alle unsere Toten läuft Pedro herum und
taucht manchmal auf und redet und scherzt und wird ernst und fragt nach mehr
Kaffee und zündet die x-te Zigarette an. Er ist jetzt hier. Es ist der 26.
Oktober, und es ist sein Geburtstag. Ich sage ihm: "Alles Gute,
Geburtstagskind!". Er hebt sein Kaffeebecher und sagt: "Salud,
Sub!". Ich weiß nicht, wieso ich mich "Marcos" genannt habe,
wenn keiner mich so anredet, alle sagen "Sub" zu mir oder etwas
vergleichbares. Pedro nennt mich "Sub". Pedro und ich unterhalten
uns. Er erzählt und ich erzähle. Wir erinnern uns. Wir lachen. Wir werden
ernst. Manchmal schimpfe ich mit ihm. Ich beschimpfe ihn, weil er ungehorsam
war, weil ich ihm nicht angeordnet hatte, zu sterben, und er trotzdem starb.
Er hat nicht gehorcht. Also beschimpfe ich ihn. Er reißt nur die Augen auf
und sagt zu mir: "Nicht möglich!". Ja, nicht möglich. Dann zeige
ich ihm eine Landkarte. Er hat sich Landkarten immer gerne angesehen. Ich
zeige ihm, wie wir gewachsen sind. Er lächelt. Josué kommt näher, grüßt und
beglückwünscht ihn: "Glückwünsche, Compaņero Subcomandante Insurgente
Pedro!". Pedro lacht und sagt: "Himmel, Mann, bis Du das alles
gesagt hast, kann ich ja gleich noch einmal Geburtstag feiern!". Pedro
sieht Josué an und er sieht mich an. Ich stimme schweigend zu. Plötzlich feiern wir keinen Geburtstag mehr. Wir drei besteigen
gemeinsam einen Hügel. Während einer Rast sagt Josué: "Bald werden es
zehn Jahre seit Kriegsbeginn sein." Pedro sagt nichts, er zündet sich
nur die Zigarette an. Josué fährt fort: "Und 20 Jahre seit der Geburt
der EZLN. Da muss es ein großes Tanzfest geben!" "20 und 10", wiederhole ich langsam, und füge hinzu:
"und die, die noch kommen werden." Dann haben wir den Gipfel des Hügels schon erreicht. Josué legt
seinen Rucksack ab. Ich zünde meine Pfeife an und zeige mit der Hand in die
Ferne. Pedro sieht, wohin ich zeige, er steht auf und sagt, sagt zu sich,
sagt zu uns: "Ja, man kann den Horizont schon sehen..." Pedro geht. Josué schultert wieder seinen Rucksack und sagt mir,
dass wir ihm folgen müssen. Und ja, so ist es, wir müssen folgen. Was sagte ich gerade? Ah ja! Wir wurden vor 20 Jahren geboren
und vor zehn Jahren haben wir uns in Waffen erhoben für Demokratie, Freiheit
und Gerechtigkeit. Man kennt uns unter dem Namen "Zapatistische Armee
der Nationalen Befreiung", und unsere Seelen voller Flicken und Narben
wehen weiterhin, genau wie die alte Fahne, die dort oben zu sehen ist, die
mit dem roten fünfzackigen Stern auf schwarzem Hintergrund und den Buchstaben
"E-Z-L-N". Wir sind die Zapatistas, die Allerkleinsten, die ihre Gesichter
verhüllen, um gesehen zu werden, die Toten, die sterben, um zu leben. Und das
alles wegen einem 1. Januar vor zehn Jahren, und einem 17. November vor 20
Jahren, in den Bergen des mexikanischen Südostens. Hier endet das Vorwort und beginnt das Werk von Gloria Muņos
Ramírez genau so, wie heute meine Worte enden und die Kampagne "EZLN: 20
und 10, das Feuer und das Wort" beginnt, mit der Vorstellung eines
Buches, das manchmal wie eine Topfflasche ist, bedeckt mit Spiegeln und
Kristallen, und manchmal wie ein Wandteppich, und immer eine Geschichte, die
nicht vergessen werden darf, denn wenn wir sie vergessen, vergessen wir uns
selbst. Und jetzt ist es offiziell: wir beglückwünschen alle, die in
diesen 20 und 10 Jahren mit Feuer und mit dem Wort beigetragen haben. Das ist alles was ich zu sagen habe. Wenn es Ihnen langweilig
geworden ist, besuchen Sie doch morgen am 11. November die Kunstausstellung
und Verlosung im Kulturhaus Jesús Reyes Heroles und das Tanzfest am 14.
November im Salón Los Ángeles. Und wenn Ihnen dann immer noch langweilig ist, dann sind sie aus
dem richtigen Holz geschnitzt, um Abgeordnete, Senatoren oder mexikanische
Präsidentschaftskandidaten zu werden. Gut, ich gehe jetzt, weil bereits die ersten Klänge von
"Cartas Marcadas" zu hören sind, und weil die mir sicher alle
Pasteten und Süßigkeiten wegklauen werden. Vale. Salud, und auf das alle uns finden und sich finden. Aus
den Bergen des mexikanischen Südostens und Ballons aufblasend, damit keiner
sagen kann, ich würde keinen mehr hochkriegen. Subcomandante Insurgente Marcos Mexiko, November 2003 _______________________ Übersetzung: Dana Aldea -> Startseite Gruppe
B.A.S.T.A. |